Das Zeitkonstrukt
- Michi

- 25. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Sept.

Bevor wir das Zeitgebäude genauer betrachten, benötigen wir eine kurze Einleitung, die unsere hauseigene Wahrnehmung betrifft: Unser Alltags-Ich lebt zum größten Teil nicht im unmittelbaren Erleben, sondern in einer Fantasiewelt aus Gedanken.
Dort entstehen vorwiegend Geschichten über „mich“: Erinnerungen an Vergangenes, Pläne für Zukünftiges, Bewertungen, Erwartungen. Dieses gedachte Ich hat keine wirkliche Grundlage, sondern stellt eine fortlaufend erzählte Figur dar – zusammengesetzt aus Bildern, Stimmen, Szenen.
Diese innere Geschichte ist nun nicht „falsch“ – sie ist menschlich (oder persönlich, wenn man es genau nimmt : - )...
[Der folgende Beitrag wurde gemeinsam mit unserem Forschungsassistenten Forschio verfasst. Er stellt eine K.I.-generierte und eigenhändig überarbeitete Vertiefung des obigen Videos dar.
Wir experimentieren hier ein bisschen mit den Möglichkeiten von K.I., um für Lesefreudige die Videos auch in Schriftform aufzubereiten & das Angesprochene noch um einige Aspekte zu erweitern, ohne uns die Finger wund tippseln zu müssen.
Findest du diese Anmerkung nicht zu beginn eines Beitrags, dann wurde dieser nicht mit künstlicher "Intelligenz" verfasst.]
Zeit als Konstrukt in einer fiktiven Welt
Wichtig zu erkennen ist, dass es sich bei Zeit nur um eine gedankliche Konstruktion handelt, ohne echte Grundlage. Sie existiert nur, solange Gedanken laufen. Sobald Stille einkehrt, bleibt reines Erleben: Atmung, Körperempfinden, unmittelbare Wahrnehmung.
Erst vor diesem Hintergrund wird das Wirken der Zeit verständlich:
Zeit liefert dem Fantasie-Ich eine lineare Bühne.
Sie schafft Koordinaten, in die das erzählte Selbst sich einbetten kann: „Ich war damals… Ich bin heute… Ich werde morgen…“. Die Uhrzeit, das Datum, Arbeitswochen, Monate, das Kalenderjahr – all das verstärkt und stabilisiert die innere Geschichte.
Zeit ist damit mehr als ein Uhrzeiger oder ein Kalender. Sie ist ein konzeptualisiertes Gebäude, das wir als Gesellschaft gemeinsam errichtet und bezogen haben:
mit Fundamenten = gemeinsamem Konsens und Terminisierung
tragenden Wänden = 24‑Stunden-Raster, Wochen, Monate, Jahre
diversen Installationen = Pünktlichkeit, Fristen, Deadlines
und möblierten Räumen = Biografien, Lebensalter, Jubiläen
Dieses Zeitgebäude ordnet unser Zusammenleben, ermöglicht arbeitsteilige Koordination und macht komplexe Gesellschaftssysteme überhaupt erst umsetzbar. Ohne den gemeinsamen Takt gäbe es gesellschaftlich gesehen keine verlässlichen Begegnungen, keine Fahrpläne, keine groß angelegten koordinierten Projekte – jedenfalls nicht in der Form, wie wir sie kennen.

Um das Bild vollständiger zu zeichnen, ist die Unterscheidung wichtig:
Das Zeitgebäude allein erzeugt kein identifiziertes Fantasie-Ich. Die individuelle Ich‑Vorstellung entsteht aus ganz anderen Dynamiken.
Zeit aber verstärkt und unterfüttert diese Vorstellung.
Sie liefert ihr eine Bühne, Koordinaten und eine scheinbar stabile Linie, an der die persönliche Geschichte „entlanglaufen“ kann. Zeit ist hier eher wie ein Verstärker zu sehen, weniger als Ursprung: Sie bietet einen Nährboden, auf dem die bereits vorhandene Identifikationen leichter und öfter in den Vordergrund treten kann.
Wie verankert sich dieses Gebäude nun in uns?
Vor allem durch Wiederholung und Reiz‑Kopplung. Jede sichtbare Uhr, jedes Datum, jede Erinnerung an eine Deadline ruft das gesamte Zeitkonzept mitsamt aller Verknüpfungen wach. Genau wie Verkehrszeichen, Smileys oder andere Symbole abgespeicherte Reaktionsmuster aktivieren, genügen Sekundenzeiger oder ein Blick auf den Kalender, um ein gedankliches Geflecht zu starten:
Tagesstruktur, Wochentag, Monatsende, Quartalsziel, Jahreszahl – und eine personalisierte Zeitlinie, auf der „mein Ich“ als Figur unterwegs ist: woher ich komme, wie alt ich bin, was „bis Ende des Jahres“ noch zu erreichen ist.
Ein schlichter Moment zeigt das plastisch: Ein Kreis von Menschen sitzt am Lagerfeuer, niemand denkt an die Uhr. Jemand fragt: „Wie spät ist es?“ – und augenblicklich klappt das Zeitgebäude auf. Mitternacht markiert den „nächsten Tag“ (obwohl der Sonnenaufgang dafür genauso plausibel wäre). Aus der Uhrzeit springen Folgedenken und Bewertungen: „Schon 23 Uhr – morgen früh raus – lieber ein Taxi rufen – nicht zu spät ins Bett…“
Die Frage nach Minuten und Stunden entzündet eine ganze Kette von Bezugnahmen. Nicht die Uhr schafft das Ich – sie gibt dem bereits identifizierten Denken mehr Bodenhaftung.
Weil das so gut funktioniert, automatisieren wir es. Wir zücken das Smartphone, sehen auf die Uhrzeit, erhalten allein dadurch ständig Zeit‑Trigger, und leben ganz allgemein in Umgebungen voller äußerer Taktgeber. Die Armbanduhr und der Kirchturm sind hier vielleicht noch Relikte einer noch nicht ganz so perfektionierten Zeit-Einbindung.
So halten wir uns tatsächlich selbst in der Zeitkonditionierung – und zwar auf einer täglichen Basis. Das Ergebnis ist ein stabiles Konstrukt:
Das Zeitgebäude ankert uns in eine bestimmte Wahrnehmungsform, aus der heraus wir die Welt erleben. Jedoch gefiltert, limitiert und meistens dissoziert vom eigentlichen Erleben des jetztigen Moments, mit all seinen Erscheinungen.

Der identifizierte Denkprozess: Wie Zeit das Fantasieren stabilisiert
Das Alltagsbewusstsein der meisten von uns verbringt, nüchtern betrachtet, viel Zeit in Gedanken. Planen, Grübeln, Erinnern, Bewerten – ein stark-identifizierter Denkprozess, in dem Vergangenheit und Zukunft die Hauptrollen spielen. Das Zeitgebäude liefert wie schon erwähnt die Kulisse dafür: eine linear angelegte Bühne, auf der „ich“ auftrete, mich erkläre und fortschreibe.
Nun führt jedoch nicht die Zeit zur Dissoziation vom jetztigen Moment; aber die Zeit öffnet weitere Zugänge bzw. Triggermöglichkeiten in genau diese Wahrnehmungsform hinein.. und liefert nebenbei auch noch einige gute Gründe, länger in ihr zu verweilen.
Warum ist das Ganze nun unter anderem so attraktiv?
Weil Identifikation vor allem Sicherheit verspricht. Eine klare Zeitlinie („damals“, „heute“, „bald“) macht Erzählungen konsistent und gibt ein Gefühl von Handlungsmöglichkeiten und Kontrolle. Gleichzeitig verlieren wir jedoch den Körper- und Gefühlskontakt..
(Ursprünglich rührt das daher, dass in jungen Jahren unser natürlicher Selbstausdruck – insbesondere Gefühlsregungen wie Wut und Trauer – als nicht willkommen wahrgenommen wurden, und daher von uns verdrängt wurden. Das führt zur Abkopplung vom Gefühlsleben und bindet die Wahrnehmung in ein oberflächliches Ich-Konstrukt: Man lebt „im Kopf“, distanziert von Intuition und Herzempfinden, in ständiger Angst vor Kontrollverlust.)
Letztendlich geraten wir über konditionierte Reiz-Reaktionsketten im Laufe unseres Lebens in eine Art fortlaufende Hypnose: Durch permanente Wiederholung äußerer Reize, die in uns mit bestimmten Vor-stellungen und Konzepten gekoppelt wurden, vergessen wir in unbewussten Momenten, dass hier gerade wieder nur ein fiktives Konstrukt getriggert wurde, ohne echten Wirklichkeitsgehalt.
Eine Uhrzeit beim Feiern („Es ist 23 Uhr“) genügt damit bei vielen, um aus der Präsenz in eine wieder einsetzende fortlaufende Identifikation zu kippen. Mitternacht erscheint in diesem Beispiel plötzlich als Grenze, als ob sich genau zu diesem Zeitpunkt eine qualitative Veränderung der Wirklichkeit vollzogen hätte.
Ein hilfreicher Kontrast, der zeigt, wie es im Natürlich-Angebundenen so läuft:
Wild lebende Tiere leben nach Rhythmen – Hell/Dunkel, Wärme/Kälte, Nahrungssuche/Ruhe. Es gibt dort keine abstrakte Uhr, sondern Zyklen. Das zeigt, dass es eine Alternative zu liniaren Zeitbezügen gibt: Rhythmus statt Raster und Terminisierung.
Auch wir tragen diese Rhythmen in uns (Schlafbedürfnis/Aktivität, Hunger/Sättigung, Einatmen/Ausatmen, Wechsel von Sympathikus und Parasympathikus etc.). Wenn wir ihnen folgen, wird gegenwärtiges Spüren „freigeschalten“, statt sich selbst in Zeit eingebundenen Geschichten zu verlieren.

Leider ist es nun nicht so, dass präsentes Sein an der Oberfläche genügt á la: „Wenn ich nur mehr Präsenz übe, verschwindet die Identifikation.“
Präsenz ist zentral – aber sie muss auch in die unangenehmen Teilaspekte unseres Lebens getragen werden.
So ist es die Natur der Sache, dass das, was früher unterdrückt wurde, „mit der Zeit“ wieder nach oben kommt. Wer diese aufsteigenden Gefühlsenergien erneut wegdrückt (durch Ablenkung, Süchte, Kompensation), hält den identifizierten Denkprozess unbewusst am Leben.
Die Folge ist eine subtile innere Starre mit dem Ergebnis:
wir sind die ganze Zeit am Denken, verlieren uns in Geschichten und fühlen zugleich sehr wenig.
Aus naturgesetzlicher Sicht lässt sich das aufs simpelste heruntergebrochen formulieren:
Energie fließt, wenn Widerstand sinkt.
Identifikation baut auf Widerstand – Präsenz senkt ihn.
Aber erst das „Durchfließen-lassen“ der Gefühle (statt erneutem Wegdrücken) führt zur echten Entlastung und zum Einlassen auf den rhythmischen Fluss des Lebens.
Aus dieser Dynamik wird also verständlich, warum Zeit (besser Präsenz) alle Wunden heilen lässt – weil Raum entsteht, in dem Verdrängtes auftauchen, gefühlt und integriert werden kann.
Ohne diese innere Präsenz bleiben wir mit unserem Ich „in der Zeit stecken“ und finden uns in fortlaufend wiederkehrenden Kreisläufen wieder, in denen wir Aufkommendes verdrängen, um dann wieder mal eine neue (alte) Runde zu drehen.
Es geht also einerseits darum, aus der Präsenz heraus, die Konzepte und Konstrukte (zB. ein Ich eingebettet in Zeit) als das zu erkennen, was sie wirklich sind: Eben als temporäre Erscheinungen, die Bewusstsein binden können, wenn nicht genug Achtsamkeit da ist.
Andererseits um die Hingabe an den Moment, um das Ja zum Leben, so wie es JETZT gerade auftaucht. Inklusive aller dunklen Erscheinungen, von denen wir gewohnt sind, sie allzugerne aus „unserem Leben“ draußen zu halten.
Also dann, wie spät is es eigentlich gerade?
(; - )
(Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit unserem Forschungsassistenten Forschio verfasst.)
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